Was hat ein Kulturbanause mit einer Kulturtasche gemein? Bakterienkultur mit Kulturschock? Oder Joghurtkultur mit Leitkultur? Nicht viel. Außer dieses einen kleinen Wörtchens: „Kultur“. In dieser Reihe nehme ich dich mit auf eine Reise des Begriffs „Kultur“, von den Anfängen bis zu seiner heutigen Bedeutung.


Der Begriff „Kultur“ ist in aller Munde

Nationalkultur, Kulturraum, Geisteskultur, Kulturbanause, Kulturgut, Kulturschock, Kulturtasche, Bakterienkultur, Kulturpflanze.

Wohin man blickt, springt uns von irgendwoher der Begriff an.

Und das ist das Dilemma.

Sein inflationärer Gebrauch macht es beinahe unmöglich, sich auf eine exakte Definition zu einigen. Daher Vorsicht, wenn du auf einer Kulturwissenschaftler:innen-Party die Frage „Was ist denn jetzt Kultur?“ stellen willst. Du wirst nicht eine einzige Antwort hören. Sondern hunderte! Sorry, aber isso.

Doch für uns interkulturelle Trainer:innen wäre es ungemein schwierig, so zu arbeiten. Wir brauchen eine Definition! Daher behelfen wir uns oft mit einer Art „Arbeitsdefinition“ (gerne auch unter Verwendung von „Gänsefüsschen“-Bewegungen beider Hände). Diese werde ich in den nächsten Kapiteln vorstellen. Zunächst aber will ich erzählen, wie es zu dieser schier unübersichtlichen Vielfalt des Kulturbegriffs gekommen ist.

Colere und Cultiver als Ursprünge

Wir reisen zurück in die Vergangenheit. Als Kulturwissenschaften wie etwa die Ethnologie als akademisches Fach noch in Babyschuhen steckten, suchten gewiefte Wissenschaftler:innen nach dem Ursprung des Kulturbegriffs, denn Wissenschaft verlangt nun mal genaue Definitionen.

Zwei Wörter erregten am meisten die Aufmerksamkeit, so Jürgen Bolten. Sie bilden allem Anschein nach das sprachliche Mutterschoss des Begriffs „Kultur“:

  • da wäre zum Einen der lateinische Begriff „COLERE
  • und zum Anderen im das französische Wort „CULTIVER

Aus diesen beiden Wörtern – und deren ursprünglichen Bedeutungen – entstanden im Laufe der Menschheitsgeschichte unterschiedlichste Zusammensetzungen und Vermischungen von Bedeutungen.

Vier Seiten einer Medaille: Die Bedeutungsfelder von „Kultur“

Heute unterscheidet man vier deutlich voneinander abgrenzbare Gruppen:

Vier Bedeutungsfelder von „Kultur“ (nach Jürgen Bolten, Interkulturelle Kompetenz, S.11)

Eines haben alle vier Bedeutungsfelder gemeinsam:

Sie beschreiben, dass etwas gemacht worden ist.

Das ist das, was verbindet:

  • Kultur ist einerseits eine Summe von menschlichen Werken (Gebäude, Geräte, „Kunst“)
  • Kultur ist andererseits das „menschliche Wirken selbst“ (Bolten)

Ein Blick auf diese vier großen Bedeutungsfelder – und schon wundert’s also wenig, dass Kulturwissenschaftler:innen regelrecht ins Schwitzen kommen, wenn man sie auffordert, den Begriff bitte präzise und knapp zu erklären.

Nun denn? Der Begriff „Kultur“ hat sich etabliert und begegnet uns seither überall. In all seiner verwirrenden Vielfalt und Pracht – in journalistischen Feuilletons, auf Bauernkonferenzen, in akademischen Essays, auf Beauty-Messen und auf kleinen und großen Bühnen in großen und kleinen Kulturorten unserer Lebenswelt.

Was ist Kultur? Teil 2: Von Platons Höhlenbewohner:innen und philosophischen Heilsbringern