NAME: Mirjam L.
STUDIENFÄCHER: Ethnologie (Hauptfach), Religionswissenschaften und Politologie (Nebenfächer)
BERUF: Übersetzerin
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Ich habe Ethnologie studiert, weil…
… ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in welchem ich bereits recht früh auf Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen gestossen bin (aufgrund der Tätigkeit meiner Mutter als Deutschlehrerin für Fremdsprachige). Rasch hat sich dann eine Faszination für das Fremde eingestellt. Rückblickend betrachtet war für meine Studienwahl auch der Wunsch ausschlaggebend, in einer anderen Kultur eine „Familie“ zu finden und „Wurzeln“ zu schlagen (etwas, das ich in meiner Familie vermisst habe…). Zudem war Ethnologie 1989 noch ein „Aussenseiter-Studium“ in Deutschland, was ich damals „cool“ fand. In der Schweiz, meiner jetzigen Heimat, hat der Boom in diesem Fach erst ein paar Jahre später eingesetzt.
Unter Ethnologie verstehe ich…
…den Versuch, fremde Kulturen zu verstehen. Dies geht meiner Ansicht nach über ein intellektuelles Verstehen hinaus. Vielmehr ging es auch darum, in einer fremden Kultur zu leben und um den Versuch, diese Kultur emotional zu erfassen sowie das Fremde in all seinen Facetten wahrzunehmen und zu erleben. Denn dadurch wird unsere eigene Kultur stark relativiert.
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1. Wie bist du zu deinem aktuellen Beruf gekommen?
Nachdem ich in einem viele Jahre dauernden, sehr persönlichen Prozess mein Interesse an der Ethnologie fast gänzlich verloren habe (einige Themen faszinieren mich aber noch heute) und der Stellenmarkt eine fast unüberwindbare Hürde geworden ist, machte ich aus der Not eine Tugend und meine Sprachbegabung zur Erwerbstätigkeit. Zudem konnte ich damit mein Ziel, als Selbstständigerwerbende tätig zu sein, erreichen. Mit Ethnologie hat mein heutiger Beruf praktisch nichts mehr zu tun – abgesehen von Texten, die in diesen Bereich fallen und von mir übersetzt werden.
2. Mit welchen Hürden und Vorurteilen hattest du als Ethnologe/in in der Arbeitswelt zu kämpfen?
Natürlich wird man ab und zu mit der Frage konfrontiert, aus welchen Gründen man sich für ein so „brotloses“ Studium entschieden habe. Auf der anderen Seite hört man in vielen Fragen des Gegenübers auch eine Faszination für meine Studienwahl heraus. Man ist Diejenige mit dem „exotischen Wissen“, unter dem man sich als Nicht-Ethnologe nicht viel vorstellen kann. Ethnologie scheint die Fantasie vieler Menschen anzuregen.
Die berufliche Hürde bestand in meinem Fall vor allem darin, dass sich mir nach dem Studium keine wirklich meinen Interessen entsprechende berufliche Möglichkeit bot und besonders Teilzeitstellen praktisch nicht vorhanden waren. Nach jahrelanger Tätigkeit im Asylwesen (bereits während des Studiums und auch einige Jahre danach) war der Migrationsbereich etwas, das ich bei einer zukünftigen Anstellung mittlerweile unbedingt vermeiden wollte. Zudem war die Faszination für das Fremde einer Hinterfragung vieler Aspekte des Fremden und einem doch kritischeren Blickwinkel gewichen.
Bei vielen Ethnologen fehlt mir heute eine etwas „realistischere“ Sichtweise. Meiner Beobachtung nach findet kritisches Hinterfragen einiger Facetten des Fremden in der Ethnologie viel zu wenig statt, vielmehr findet z.T. eine für mich heute oft unverständliche Verherrlichung oder Verharmlosung statt, während gleichzeitig die positiven Aspekte der eigenen Kultur ausgeblendet werden. Zudem scheint mir in der Ethnologie in gewissen Bereichen eine Art „Konservismus“ zu herrschen, während das Leben und die Entwicklung der Menschheit und des Planeten generell kein statischer Zustand ist, sondern ein fortlaufender Prozess. Dazu gehört für mich, dass gewisse Elemente nicht mehr in die heutige Zeit passen. Mit dem „Sterben-Lassen“ hat die Ethnologie in meinen Augen grosse Mühe. Damit verbunden ist mir auch die mangelnde Fähigkeit aufgefallen, Elemente einer fremden Kultur, die uns in der westlichen Welt bereichern könnten, in eine für die heutige Zeit brauchbare Form umzuwandeln, gewissermassen die Essenz zu finden und die Dekoration wegzulassen.
Sprich: Irgendwann habe ich nicht mehr in diese „Berufswelt“ gepasst und mich nach neuen Optionen umgesehen.
3. Wie und womit hat dir die Ethno-Expertise in deinem Beruf/deinen Berufen geholfen?
Meine Ethno-Expertise hat mir beruflich später kaum geholfen. Natürlich war und ist es von Vorteil, über einen akademischen Abschluss zu verfügen, denn damit weist man gewisse Skills nach (die Befähigung zu wissenschaftlichem Verständnis von Texten, zum Verfassen wissenschaftlicher Texte, kritisches und vernetztes Denken etc.). Dieses ist mir auch heute noch als Übersetzerin von Nutzen.
Das konkrete Wissen im Bereich Ethnologie würde ich eher in eine andere Zeit meines Lebens „verbannen“, ganz nach dem Motto: „Damals war das richtig und spannend und ich habe vieles gelernt. Doch heute bin ich ein anderer Mensch und Anderes ist mir wichtig.“
4. Hat dich dein Studium genügend auf das Arbeitsleben vorbereitet? Was fandest du im Studium gut? Was hat dir gefehlt?
Während meiner Studienzeit war der Bezug zur Arbeitswelt kaum gegeben undwurde von der Universität auch kaum gefördert. Man war da ziemlich auf sich selbst gestellt.
Im Studium haben mir die kollegiale, ungezwungene Atmosphäre und das Zusammentreffen mit spannenden Menschen sehr gefallen, waren wir doch damals an der Universität die Aussenseiter mit dem „komischen Studium“. Auch unsere Professoren waren toll und alles andere als „gewöhnlich“.
Gefehlt hat mir eine konkrete Vorbereitung auf die Arbeitswelt, auf die Möglichkeiten und Beschränkungen. Das Argument „Ethnologie ist ein brotloses Studium“ hat sich damit für mich in gewisser Weise bestätigt. Dies hatte aber sicherlich auch mit meinen speziellen familiären Umständen und mit meinem schwindenden Interesse am Fach zu tun.
5. Mit dem Wissen von Heute: Würdest du Ethnologie nochmals studieren? Und was würdest du anders machen?
Ich würde nicht noch einmal Ethnologie studieren. Die Hauptgründe habe ich bereits erwähnt. Dies sage ich aber natürlich aus der heutigen Perspektive. Für die damalige Zeit war meine Entscheidung durchaus richtig. Schliesslich ist unser beruflicher Werdegang auch sehr direkt mit unserer persönlichen Entwicklung verbunden, und diese ist bei mir mit der Zeit in eine ganz andere Richtung gegangen.
Persönlich konnte ich mich mit der Zeit vor allem auch mit dem in der Ethnologie vorherrschenden, doch stark anthropozentrischen Weltbild gar nicht mehr identifizieren. Tiere waren und sind ein sehr wichtiger Teil meines Lebens und haben über die Jahre an Bedeutung sogar noch zugenommen. Das führte dazu, dass ich mich unter Ethnologen zunehmend fremd und unverstanden zu fühlen begann, da in der Ethnologie als Requisiten, Artefakte oder Bestandteile der Kultur verstanden werden, aber sicher nicht als Individuen. Ich werde nie das Gespräch mit einer Ethnologin zum Thema „Artensterben“ vergessen, als sie mir sagte: „Was sind schon ein paar aussterbende Tierarten verglichen mit dem Hunger der Menschen dort?“
6. Dein Rat an die Ethno-Neulinge?
Aus meiner persönlichen – sicher nicht objektiven – Erfahrung heraus würde ich empfehlen, sich die Studienwahl Ethnologie gut zu überlegen und die wahren Gründe, die einen zu dieser Wahl bewegen, kritisch zu hinterfragen. Ein Berufswechsel in späteren Jahren ist nie einfach, manchmal sogar unmöglich, besonders mit einem Studienabschluss, der doch sehr speziell ist.
Ein spannendes und den Horizont stark erweiterndes Studium ist Ethnologie aber auf jeden Fall. Auch ich habe sehr vieles lernen dürfen. Doch der Stellenmarkt für wirklich spannende Ethnologenstellen ist eher schlecht, Teilzeitstellen sind noch schwieriger zu finden.
Rückwirkend erkenne ich, dass ich meine damalige Wissensgier im Bereich Ethnologie auch mit der Lektüre entsprechender Literatur hätte befriedigen können. Dazu hätte ich kein solches Studium machen und meinen Berufsweg ganz dieser Fachrichtung verschreiben müssen.