Schweißperlen auf der Stirn. Der Puls rast. Die Gäste schauen verwundert dem wütend davon stapfenden älteren Herren nach. Und dann auf Steve, den jungen Geschäftsmann. Eine peinliche Stille breitet sich auf der Party aus. „Irgendwas hab ich wohl Falsches gemacht, oder gesagt?“, überlegt Steve und kratzt sich unbeholfen am Hinterkopf. „Bloß was eigentlich?“
Nun, der junge Geschäftsmann Steve hat sich folgendes Mantra nicht auf die Fahnen geschrieben:
Um erfolgreiche Geschäftsbeziehungen mit internationalen Kund*innen zu haben, ist es äußerst hilfreich, sich ein wenig mehr Wissen über den kulturellen Hintergrund der ausländischen Kolle*innen oder Kund*innen anzueignen. Andernsfalls sind Missverständnisse und Konflikte das Ergebnis. Gefolgt von gescheiterten Projekten, wie Steve kurzerhand später erfahren durfte. Der ältere, wütend davon stapfende Herr war nämlich ein japanischer Kunde seiner Firma. Beziehungsweise nun der EX-Kunde.
Warum interkulturelle Kompetenzen mehr denn je gebraucht werden, vor Allem in Geschäftsbeziehungen, möchte ich dir anhand zweier Fallbeispiele zeigen.
Zwei Fallbeispiele von misslungener interkultureller Zusammenarbeit
Die internationalen Geschäftsbeziehungen deutscher Unternehmen sind innerhalb der letzten Jahrzehnte rasant gewachsen. Dank der Globalisierung und zunehmender Einwanderung von ausländischen Fachkräften sind auch die Teams internationaler geworden. Die kulturellen Unterschiede bringen Vielfalt auf diversen Ebenen mit, stellen aber auch alle Beteiligten vor neue Herausforderungen.
Auf einer Cocktailparty in Tokio
Steve, ein junger amerikanischer Firmenrepräsentant, wollte die Verbindungen zum Präsidenten einer japanischen Partnerfirma, Herrn Watanabe, auf eine freundschaftliche, dauerhafte Basis stellen. Immerhin haben sie schon mehrere Monate zusammengearbeitet, dennoch war das Verhältnis zwischen ihm und diesem einschüchternd würdevollen, älteren Herrn noch immer sehr förmlich. Diese beschloss er eines Tages auf ein neues Level zu heben. Auf einer Cocktailparty in Tokio näherte er sich dem Präsidenten, klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter, und sprach in seinem gebrochenen Japanisch, für die Umstehenden deutlich vernehmbar, so etwas wie: „Hey, schön Sie hier zu sehen, alter Bock.“ Der Präsident wurde aschfahl, verließ grußlos die Party und kündigte innerhalb der nächsten Tage die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma auf.
Auf einem Flughafen in Frankfurt
Herr Schmid, Chef eines multinationalen Unternehmens mit Sitz in Frankfurt, erwartet Besuch von seinem chinesischen Geschäftspartner Herrn Wang. Ausgemacht war, dass dieser vom Flughafen abgeholt und zum Hotel gefahren wird. Am Tag der Ankunft schickt Herr Schmid seine Praktikantin Tina zum Flughafen. Kurze Zeit später ruft Tina total aufgelöst an und sagt, Herr Wang sei ziemlich aufgebracht gewesen, als er sie gesehen hat, habe er sich geweigert, in ihr Auto zu steigen und sei laut schimpfend wieder zurück in sein Flugzeug gestiegen. Später per e-Mail wurde Herrn Schmid mitgeteilt, dass der Auftrag seitens Herrn Wang zurückgezogen wurde.
„Huch! Was ist denn hier passiert?“ Die eine Perspektive
Offensichtlich ist in beiden Fällen etwas ordentlich schief gelaufen, denn niemand würde einen so wichtigen geschäftlichen Auftrag so schnell und (scheinbar) leichtherzig aufkündigen – vor Allem wenn er über Ländergrenzen hinweg abgewickelt wird!
Es muss also einen richtig triftigen Grund für solch eine Reaktion gegeben haben.
Wenn wir die beiden Situationen zunächst einmal aus der einen Perspektive analysieren, würden wir wahrscheinlich zu folgenden Reaktionen und Rückschlüssen kommen:
Fallbeispiel 1: Aus Sicht des amerikanischen Firmenrepräsentanten Steve
Wahrscheinlich würde er zunächst einmal gar nicht verstehen, was passiert ist. Wäre perplex. Würde sich fragen: „Hä, was ist denn jetzt passiert? Warum hat der Präsident so plötzlich seinen Auftrag und seine Zusammenarbeit beendet?“ Er wäre höchstwahrscheinlich: verständnislos, empört, aufgebracht, wütend, ahnungslos, besorgt. Immerhin war es ein wichtiger Auftrag!
Fallbeispiel 2: Aus Sicht von Herrn Schmid
Auch hier wäre er wahrscheinlich vor den Kopf gestoßen, würde verständnislos und vielleicht sogar ein wenig (sehr!) verärgert und aufgebracht reagieren. Ganz nach dem Motto: „Wie undankbar kann man bloß sein!“ Immerhin haben er und seine Firma weder Kosten noch Mühen gescheut, um den chinesischen Geschäftsparnert hier in Deutschland zu empfangen, ihm ein Hotelzimmer gebucht und ihm sogar die Mühe des Taxifahrens ersparen wollen.
„Oh – das ist passiert!“ Die Perspektive der Anderen
Es muss also einen richtig triftigen Grund für die Reaktionen gegeben haben. Der japanische Präsident und der chinesische Geschäftspartner fühlten sich offenbar so sehr auf den Schlips getreten, dass eine weitere Zusammenarbeit unvorstellbar geworden war.
Wir sind hier im Bereich der Geschäftsbeziehungen, die sich in interkulturellen Kontexten bisweilen stark voneinander unterscheiden. Wir sind im Bereich von unterschiedlichen Auffassungen davon, wie sich Mitarbeiter innerhalb der beruflichen Hierarchien zu verhalten haben. Auffassungen, die allzu oft für Missverständnisse untereinander sorgen und sogar dazu führen, dass ca. 40% internationaler Projekte scheitern.
In amerikanischen und deutsch(sprachigen) Unternehmen sind wir wohl eher dazu geneigt, die Hierarchien eher „flach“ zu halten. Auch das Thema Alter und Status werden anders bewertet als dies etwa in japanischen oder chinesischen Unternehmen der Fall ist.
Daher wäre es im Falle des amerikanischen Mitarbeiters Steve wohl kaum zu einem solchen Fauxpas gekommen, wenn er seinem amerikanischen Chef mal eben freundschaftlich auf die Schulter geklopft und ihn so flapsig angesprochen hätte.
Auch im Falle von Herrn Schmid wäre die Situation anders ausgegangen, immerhin ist es bei uns in Deutschland gang und gäbe, dass ein Chef, der ja ohnehin schon viel um die Ohren hat, mal eben kurz seine Praktikantin schickt, um einen Gast abzuholen.
Genau hier sind aber die beiden Akteure in interkulturelle Fettnäpfchen getappt: Sie haben Ansichten und Handlungen, die in ihrer Kultur „normal“ sind, auf eine interkulturelle Situation zu übertragen versucht – und sind dabei kläglich gescheitert.
Denn im ersten Beispiel ist es nun mal so, dass es in japanischen Firmen nicht „normal“ ist, dass jüngere Mitarbeiter zu ihren älteren Kollegen einen so „kameradschaftlichen“ Ton pflegen. Hier spielt zum Einen die Auffassung von Hierarchie eine Rolle, aber auch die des Alters. Die Handlung des amerikanischen Mitarbeiters Steve war daher aus Sicht des japanischen Präsidenten respektloses Verhalten ihm gegenüber.
Ähnlich erging es Herrn Schmid im zweiten Beispiel: Hier spielen unterschiedliche Auffassungen von „Status“ eine Rolle. In diesem Fall war es so, dass der chinesische Geschäftskunde die Entscheidung seines deutschen Geschäftspartners, ihn nicht persönlich vom Flughafen abzuholen, als „respektlos“ und dem seines Status „nicht würdig“ empfunden hat.
„Die sollen sich mal nicht so haben“ ist die absolut falsche Reaktion!
„Das ist aber eine total übertriebene Reaktion. Die sollen sich nicht so haben.“ Solche Gedanken können vielleicht als erste Reaktion aufkommen, doch führen sie meist nicht zu verbesserten Geschäftsbeziehungen, sondern eher zum Gegenteil. Und sollten daher so schnell wie möglich überwunden werden.
Denn es ist nun mal so: Menschen wachsen in unterschiedlichen Kulturen auf. In jeder Kultur haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Auffassungen über Gott und die Welt entwickelt. So auch über Dinge wie „Arbeit“, „Alter“, „Respekt“, „Status“ etc.
Solange du mit Menschen zu tun hast, die so wie du in der selben Kultur groß geworden sind, habt ihr gleiche/ähnliche Auffassungen. Ihr versteht viele Ebenen, ohne miteinander darüber reden zu müssen. Ihr versteht euch komplett unbewusst!
Wenn ihr aber auf Menschen trefft, die nicht aus dem gleichen kulturellen Kontext kommen, unterscheiden sich deren Auffassungen von euren. Weil auch dies unbewusst geschieht, passiert eben das: Zwei völlig unterschiedliche Auffassungen treffen aufeinander. Et voilà: Es kommt zu Missverständnissen hier z.B. was „sich gehört“ und was eben nicht.
Was hilft: Der Wechsel der Perspektiven
Was zeigen dir nun diese Beispiele? Wir nehmen unsere Welt immer aus unserer Perspektive wahr. Und bewerten diese auch. Wir drücken ihr den Stempel auf, was „richtig“ ist und was nicht.
Ein Blick über den eigenen Tellerrand sowie der Versuch, die Ansichten, Auffassungen und Motive der anderen Seite zu verstehen, zeigt jedoch, dass deine Sicht der Dinge nur eine von vielen ist.
Und vor Allem: Dass deine Sicht der Dinge nicht die „richtigere“ ist, sondern schlichtweg eine „andere“.
Wenn du dir dieser unterschiedlichen Ansichten bewusst wirst, sie annimmst, und aus dieser Situation lösungsorientierte Handlungsstrategien entwickelst, sprich interkulturell kompetent handelst, werden dir solche Missverständnisse nicht (mehr) so oft vorkommen.
Und nun eine Frage an dich: Hast du dich auch schon mal in solchen Situationen wieder gefunden, in denen du vermeintlich „richtig“ gehandelt hast, dein Gegenüber sich aber komplett vor den Kopf gestossen gefühlt hat? Wie hast du reagiert? Erzähl es mir in den Kommentaren!