„Boah, schon wieder scharfe Linsensuppe so früh am Morgen?! Können die nicht mal normales Frühstück zubereiten?!?“

„Oh Gott, können die bitte aufhören, mitten in der Nacht zu hupen???“

„Nein, ich werde ganz sicher NICHT in dieses überfüllte Taxi steigen!!!“

Julia, in ihren 20er Jahren. Auf ihren Studienreisen durch Indien und Kenia.

Was ist passiert? Ein Sinnes-Overload!

Alles war so anders!

Hier rauscht es, da raucht es, in den Küchen brutzeln seltsam aussehende Gerichte. Eine schiere Unmenge an verschiedensten – und neuen – Sinneseindrücken prasselte zur gleichen Zeit auf mich ein. Meine Sinne und mein Gehirn waren, nun ja, überfordert 😀

„Hallo Welt!“ So nimmt dein Gehirn die Umwelt wahr

Das menschliche Gehirn ist schon ein faszinierendes Organ. Denn unsere Welt besteht aus Unmengen an Sinnesreizen, die auf uns einwirken. Neben den bekannten wie den sensorischen, akustischen, olfaktorischen und visuellen gibt es noch ein paar weniger bekannte (Zeitempfinden, Magnetismusempfinden, etc.)

Um sich in einer solchen reiz-vollen Umgebung irgendwie orientieren zu können, hat unser Gehirn im Laufe der menschlichen Entwicklung gelernt, diese zu strukturieren und zu sinnvollen Einheiten zusammen zu bündeln. Dies geschieht mithilfe von sensorischen Filtern.

Dieser Filter soll uns sozusagen vor Reizüberflutungen schützen und die Umwelt irgendwie sinnvoll erscheinen zu lassen.

(Eigentlich ziemlich nice, von unserem Gehirn :D)

Die 5 bedeutendsten Filter deiner Wahrnehmung

Welche Reize werden aber vom Filter durchgelassen und welche nicht? Nun, hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Hier kommt eine Auswahl an bedeutendsten Filtern.

Filter Nr. 1.: „Hach, die Neitscher!“ – Umweltbedingungen und Klima

Die Umwelt spielt eine große Rolle. Lebst du in einer Großstadt oder auf dem Dorf? Lebst du im Gebirge Österreichs, am Ozean, im Regenwald oder in den weiten Steppen der Mongolei?

Deine Umwelt prägt deinen sensorischen Filter. Du nimmst verschiedene Sinnesreize unterschiedlich wahr. Im Regenwald ist das Wärmeempfinden anders als im Allgäu auf der Alm. In einer Großstadt wie Nairobi oder Neu Delhi ist die Geräuschkulisse eine andere als in einem kleinen Dorf im Marokko oder in Dänemark.

Filter Nr. 2: „Is‘ halt die Erziehung“ – deine erste Stube

Deine Kinderstube spielt eine Rolle. Wo und wie bist du aufgewachsen? In einer Großfamilie, als Einzelkind, bei Großeltern oder im Waisenhaus – hier geschieht die erste Sozialisation. Wo bist du zur Schule gegangen? Staatliche Schule oder private? Wie waren deine Lehrer:innen, wie war dein Freundeskreis? Dinge, die du damals erfahren und erlebt hast, haben dich und deine Sicht auf viele Dinge geprägt. Wahrscheinlich für dein ganzes Leben.

Filter Nr. 3: „Du bist die Summe deiner Erfahrungen“ – Erlebnisse und Erfahrungen

Nicht nur das, was du in deiner Kindheit und Jugend von deinem Elternhaus an Werten, Glaubensätzen, Überzeugungen, Ideologien und ja, auch Vorurteilen mitgenommen hast, prägt deine Wahrnehmung. Sondern auch all deine Erfahrungen, die du in deinem späteren Leben gemacht hast. Welchen Beruf hast du gelernt? Mit wem hast du dich im Studium, in der Ausbildung angefreundet? Welche Erfahrungen hast du mit deinen Arbeitgeber:innen gemacht? Welche „Learnings“ hast dir für dein späteres Leben mitgenommen? Wie hat sich dein „Blick“ auf manche Sachverhalte geändert? Wie haben sich deine Annahmen und (Vor-)Urteile im Laufe der Zeit gewandelt (oder eben nicht)?

Ein Beispiel einen Architekten, einen Gärtner, einen Historiker durch eine Stadt spazieren mit der Aufgabe, später über das Gesehene zu reden. Sie werden nicht viel gemeinsamen Gesprächsstoff haben.

Weil jeder auf andere Dinge geachtet hat. Bedingt durch seinen individuellen sensorischen Filter.

Filter Nr. 4: „Du bist, was du liest“ – Medien

Oh ja, auch Medien spielen eine große Rolle. Welche Medien konsumierst du? Liest du eher links- oder rechtsgerichtete Medien? Schaust du nur die Tagesschau oder nur ARTE oder informierst du dich auf zahlreichen News-Plattformen im Internet?

Je nachdem, welche Nachrichten du schaust und je nachdem wie divers und ausgewogen deren Berichterstattung ist (Spoiler: Die Medienlandschaft in Deutschland ist noch seeeehr un-divers…), desto diverser ist natürlich auch dein Blick und deine Meinung zu einem Thema.

Filter Nr. 5: „Oh, das war aber jetzt…komisch.“ – Erwartungen

Oh ja, Erwartungen sind nicht zu übersehen.

Meistens merkst du, dass du eigentlich etwas erwartet hast, wenn du eine Reaktion bekommst, die dich stutzig macht.

Du reichst einer Person zur Begrüßung deine rechte Hand. Die Person tritt aber stattdessen einen Schritt zurück und verbeugt sich leicht mit einer Hand-aufs-Herz-Geste. Dich beschleicht zunächst einmal ein leicht unangenehmes Gefühl. Du bist irritiert. Und merkst eigentlich erst jetzt, dass du eigentlich erwartet hast, dass die andere Person dir ihre Hand entgegen streckt. Was jedoch nicht passierte.

Erwartungen. Du hast es erwartet, wenn auch unbewusst, weil es in deiner Kultur eben die „normale“ Art und Weise ist, jemanden zu begrüßen.

Kollektives Gedächtnis formt Kultur

Apropos Erwartungen.

Woher kommen eigentlich diese Erwartungen, dass etwas sich ganz genau so abspielen muss und nicht anders? Nun, sie kommen aus unserem „kollektiven Gedächtnis“.

Es ist nämlich so:

Im Laufe der Jahrtausende haben deine und meine Vorfahren aus unserer Kultur ihre Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt. Darin findest du all die Dinge, die deine UrurUr-Großeltern „immer schon so gemacht“ haben und die sich als gut und funktionierend bewährt haben. (Naja, nicht alle, aber das ist ein anderes Thema, darüber an anderer Stelle mehr.) Aus diesem Wissensfundus bedienen wir Nachfolge-Generationen uns immer wieder.

Erinnere dich: „Des habma IMMER scho so gemacht!“

Das heißt: Wenn wir jemandem/etwas Neuem begegnen, dann stöbern wir also zunächst einmal in diesem kollektiven Gedächtnis nach bereits ähnlichen Erfahrungen und Erkenntnissen, um uns an ihnen zu orientieren. Wir bilden also Analogien, indem wir von bereits Bekanntem auf Ähnliches schließen. Wir „konstruieren“ also Sinn.

Jeder Mensch überall auf der Welt lebt in einer Gemeinschaft, die über einen solches kollektives Archiv verfügt. Jedes Archiv ist einzigartig, denn die Erfahrungen, die diese Gemeinschaft gemacht hat, sind natürlich andere als etwa deine.

Meine Lebenswelt ist nicht deine Lebenswelt. Muss aber nicht so bleiben!

Und das ist das Geheimnis. Dein sensorischer Filter ist ein Produkt deiner Sozialisation und deiner Erfahrungen, die du in deiner Lebenswelt gemacht hast. Deshalb kommt dir vielleicht dein Ausflug nach Indien oder Marokko so laut und die Farben dort so grell und die Luft dort so anders vor.

Aus dem einfachen Grund: Weil dein sensorischer Filter diese neuen Reize nicht einordnen und sortieren kann. Zu BEGINN! Mit der Zeit verändert sich der Filter, passt sich an die neue Situation, und an neue Sinneswahrnehmungen an. Und je öfter du dich in solche neuen Situationen begibst, desto schneller wirst du dich an neue Situationen anpassen und dich daran gewöhnen.

Wie in meinem Fall in Indien: Nach einer Weile fand ich es gar nicht mehr schlimm, zum Frühstück eine leckere scharfe Samosa zu verspeisen oder nachts bei geöffnetem Fenster, direkt an der Hauptstrasse todmüde ins Bett zu fallen. Ich hatte mich daran – gewöhnt.