Ok. Nun im ersten Teil habe ich den Nebel rund um die Entstehung des Begriffs Kultur hoffentlich ein wenig gelichtet. Es ist jedenfall etwas, was von Menschen gemacht wurde.
Irgendwann hat sich der Begriff „Kultur“ etabliert. Und dann sogleich als Gegenpart zur „Natur“ herangezogen. Natur – da ist es wild und durcheinander und barbarisch. Kultur hingegen, das ist das Schöne, das Wahre, das Gute und das, well, „Zivilisierte“.
Kultur war zunächst einmal ein Instrument, um die wilde Natur zu bändigen. Die geschah, indem Felder bestellt, Häuser gebaut, Instrumente geschnitzt, Bilder gemalt und Musik produziert wurde. „Kultur“ also als ein Produkt menschlicher (kreativer) Erzeugnisse. In Fachkreisen nennt man dies „enger Kulturbegriff“.
Enger Kulturbegriff. Was’n das?
Kultur bedeutet – Platon lässt grüßen – das Schöne, das Wahre und das Gute.
Kultur, das ist die Kunst, die Kultiviertheit, das, was Menschen an menschlichen Werken erschaffen haben.
Kultur, das sind Bücher von Leo Tolstoi und Friedrich Schiller, das ist Musik von Mozart und Smetana, das sind Gemälde von Pablo Picasso und Frida Kahlo, das sind Romeo und Julia und Schwanensee im Theater und schicke Klamotten von Dolce & Gabbana. Kultur sind aber auch die Pyramiden von Giseh, der schiefe Turm von Pisa und das Schloss Neuschwanstein.
Verantwortlich für diese Auffassung von Kultur ist wohl der gute alte Platon, der mit seinem Höhlengleichnis den Grundstein dafür legte.
Kurze Erinnerung, worum es da geht? Ok.
- In Platons Höhlengleichnis geht es um die Annahme, die Welt bestehe eigentlich aus zwei Welten: einer Welt der Wirklichkeit und einer Welt der Ideen (=Wahrheit).
- Die überwiegende „Masse“ der Menschen lebt in einer Höhle, kennt die „wahre Welt da draußen“ nicht und hält somit die Schatten an den Höhlenwänden für diese „wahre Welt“. Eine kleine Minderheit der „Erwachten“ (damals vorwiegend Philosophen natürlich) ist aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten in der Lage, diese Höhlenwelt zu verlassen und die wirkliche „wahre Welt“ zu sehen. Zurück bei den „Höhlenbewohnern“ versucht sie von da an, die anderen mit dem Wissen um die eigentliche wahre Welt zu erleuchten, sprich zu „kultivieren“.
„Platon, wir haben ein Problem!“ Warum ein enger Kulturbegriff uns hindert, verständnisvoller zu sein
Der Kulturwissenschaftler Jürgen Bolten hält diesen Kulturbegriff für fatal, denn er sagt, eine solche Auffassung von Kultur lässt ein Machtpotential entstehen zwischen den „Sehenden“ und den „Blinden“.
Eine solche enge Auffassung des Kulturbegriffs stellt uns vor folgende Probleme:
Enger Kulturbegriff
- wird schnell wertend. Denn zur Geisteskultur hat nicht jeder Mensch auf dieser Welt Zugriff. Es ist ein Privileg.
- erweckt den Anschein, das „war schon immer so gewesen“. Kultur ist in diesem Beispiel etwas, unhistorisch und undynamisch ist. Beispiel literarische „Klassiker“ à la Faust. Warum muss es heute im 21. Jhd. noch gelesen werden? Gibt es keine anderen, wertvolleren Dichter:innen und Autor:innen, die für die jüngeren Generationen vielleicht weitaus mehr Mehrwert haben, als Faust?
- grenzt ab, stellt „entwickelte“ Kulturen den „unentwickelten“ (sic!) gegenüber
- lässt dessen überzeugte Vertreter:innen glauben, sie hätten, da sie die Weisheit mit Löffeln gef…uttert haben, das Recht, über andere zu richten und über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden, ob sie nun „kultiviert“ seien oder nicht (Fremdbestimmung! Eurozentrismus!)
- Historisches Beispiel? Hier z.B.:
- Oder hier ein Artikel über (Nord)Amerika und der Mord an indigenen Gesellschaften Nordamerikas.
Fazit
Natürlich wäre es um einiges leichter, Kultur darauf zu beschränken. Würde jemand dann „Hey Julia, was ist denn Kultur?“ fragen, könnte ich wie aus der Pistole geschossen einfach „Kant! Mozart! Dostojewski!“ rufen und beschämt nach Hause gehen.
Denn welchen Unheil eine solche Sichtweise auf Kultur anrichten kann, zeigt ein Blick auf unsere ach so zivilisierte Geschichte:
Kriege, Sklaverei, Genozide, Ausrottung des (vermeintlich!) kulturlosen Lebens.
Viele indigene Gesellschaften fielen diesem Verständnis von „Kultur“ zum Opfer. Und das wortwörtlich.
Zum Glück haben das viele kluge Köpfe erkannt. Und den Kulturbegriff erweitert.
Teil 3: Kulturbegriff heute: Eine von Menschen geschaffene Welt
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