Medien schüren Vorurteile. Das wird ihnen zumindest vorgeworfen. Aber stimmt das wirklich? Der Kommunikationswissenschaftler Christian Schemer hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Phänomen zu erforschen.
„Wir haben alle Vorurteile. Das ist einfach so.“ Christian Schemer muss es wissen. Immerhin hat er den Großteil seiner akademischen Laufbahn der Erforschung des Medieneinflusses auf unsere Einstellungen gewidmet. Seit knapp einem Jahr lehrt der Professor für Allgemeine Kommunikationswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Sein Büro befindet sich im neu errichteten Georg Forster – Gebäude auf dem Campusgelände der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Die Tür steht weit offen. Hell ist es darin, und das ganz ohne künstliches Licht, den großen Bürofenstern sei Dank. „Willkommen! Setzen Sie sich!“ begrüßt er mich. Auf den ersten Blick könnte er auch ein Werkstudent sein: Kurze, braune Haare. Ein glattrasiertes Gesicht. Auch das Outfit – ein Longsleeve, hellbraune Kordhosen, bequeme Schuhe – ist eher leger gehalten.
Doch sein Studium, das er übrigens ebenfalls in Mainz absolvierte, ist bereits ein paar Jahre her. Seitdem ist der 38-Jährige schon viel herum gekommen. Seine Arbeit führte ihn in die USA und in die Schweiz. Immer mit im Gepäck: dieselben Fragen – „Wie bilden sich Leute ihre Meinung? Und wie ändert sich das über die Zeit und wodurch?“ Das interessiere ihn, erzählt Schemer. Seine Augen leuchten dabei. In letzter Zeit stehen soziale Gruppen im Fokus seines Interesses: alte Menschen, Menschen mit Übergewicht. Flüchtlinge oder religiöse Minderheiten.
Mit dem Bild der Flüchtlinge in den Medien sowie den Einstellungen der Rezipienten befasste er sich schon als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Züricher Institut für Publizistikwissenschaft und Medienordnung. Zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes bereitete sich die Schweiz auf die Abstimmung zur Verschärfung des Asylgesetzes vor. Zahlreiche politische Kampagnen warben damals für strengere Gesetze. Aber es gab auch Gegenkampagnen, erzählt Schemer. Die Medien beobachteten und berichteten darüber. Und Schemer beobachtete die Medien. Letztendlich gewannen die Befürworter der Verschärfung die Abstimmung. Schemer lehnt sich im Sessel zurück, und überlegt. Seine Hände, mit denen er ansonsten aktiv im Gespräch hantiert, verharren für einen Augenblick. „Diese Gegenkampagne hat es nicht geschafft, dass irgendein Bruchteil der Bevölkerung Sympathie oder Mitleid empfunden hätte.“
Vom „negativen Image“ der Muslime
Generell sei Ausländerfeindlichkeit in den Schweizer Medien offensichtlicher als in Deutschland, so Schemer. „Wir sind uns eines gewissen Erbes bewusst“, sagt er. Hierzulande gibt es hingegen eine andere Gruppe, gegen die sich die meisten Vorurteile richten – die Muslime. Sind also doch die Medien für Ressentiments gegenüber Muslimen verantwortlich? Er überlegt kurz. Dass zumindest die Art der Berichterstattung mitunter bestehende Vorurteile untermauere, das bestreitet er nicht. „Egal welche Nachrichten und Sendungen man anschaut, egal welche Zeitung man aufschlägt: Es gibt einfach keine guten Nachrichten über Muslime.“ Dennoch sei es keine Lösung, so Schemer, nicht über solche Gräueltaten, wie etwa die der IS, zu berichten: „Journalisten schreiben nun mal über die aktuelle Situation. Und wenn in Syrien jemand bei lebendigem Leib von Gruppen verbrannt wird, die sich auf den Islam berufen, dann kann man es nicht schön färben.“ Dass jedoch zu solchen Meldungen auch noch Bildmaterial geliefert wird, das allerdings findet er „grenzwertig“ und „hoch problematisch“.
Wie Vorurteile entstehen
Hier in Mainz will der junge Professor nun da weitermachen, womit er in der Schweiz angefangen hat. Als Teamleiter der Forschungsgruppe „Dynamics of Society and Communication Research Group“ will er in Forschungslaboren zusammen mit seinen Kollegen die Meinungsbildungsprozesse untersuchen. In seinem Fall also: Wie wird über soziale Gruppen in den Medien berichtet? Und wie wirken sich diese Darstellungen auf Vorurteile und Verhalten gegenüber diesen Gruppen aus.
Wie Vorurteile generell entstehen, ist in der Kommunikationswissenschaft weitestgehend bekannt, erzählt Schemer. Eine Möglichkeit sei die Konditionierung. Man nehme eine bestimmte Gruppe – die „Ausländer“ – und kopple sie an als negativ bewertete Begriffe wie „Kriminalität“ oder „Missbrauch von Wohlfahrtsgeldern“. „Irgendwann“, so Schemer, „führen solche Wortpaare dazu, dass Menschen negative Einstellungen entwickeln.“
In einem Experiment mit seinen Studierenden habe der Professor versucht, das „umzudrehen“. Der Versuchsgruppe wurden entsprechend „positiv“ formulierte Schlagzeilen über Muslime vorgelegt. Das Ergebnis: Zwar wurden bei negativen Schlagzeilen auch die Einstellungen der Leser negativer. „Den positiven Effekt konnten wir nicht nachweisen.“
Fast scheint es also, als sei es leichter, negative Einstellungen zu verstärken als diese abzubauen. Zu diesem Ergebnis kam Schemer sowohl in seiner Schweizer Studie als auch beim Experiment mit den Schlagzeilen. Im seinem Buch versucht er es damit zu erklären, dass negative Einschätzungen evolutionär gesehen folgenreicher seien als positive.
Zwar glaube er nicht, dass es daher die Aufgabe der Journalisten sei, Vorurteile abzubauen. Differenzierter über IS oder Anschläge zu berichten allerdings schon. Sie sollten Aussagen wie „Die haben einen enthauptet, die Islamisten!“ vermeiden, so Schemer, und statt dessen darauf hinweisen, dass IS nicht „der Islam“ ist. „Das würde ich vom seriösen Journalisten auch erwarten.“
Auch vermehrt nach „good news“ zu suchen und darüber zu berichten, findet er begrüßenswert. „Am besten nicht direkt nach Anschlägen“, fügt er hinzu. „Denn das ist natürlich der denkbar ungünstigste Zeitpunkt.“
Vom Lernen, eigene Vorurteile zu erkennen
Menschen werden ständig von Vorurteilen geleitet, so Schemer. Seine Studierenden seien in der Hinsicht aber zumindest sensibilisiert. Bei ihm lernen sie, sich ihrer eigenen, insbesondere sogenannten „impliziten“ Vorurteile bewusst zu werden. Implizite Vorurteile seien nämlich solche, so Schemer, die wir nicht verbalisieren können, die aber unser Verhalten steuern. Etwa wenn wir uns im Bus – scheinbar – zufällig neben unsere Landsleute setzen anstatt neben Menschen anderer Hautfarbe. „Das beobachten wir häufig bei solchem spontanen Verhalten wie Platzwahl im Bus“, weiß der Kommunikationswissenschaftler zu berichten. Vorurteile – ein natürliches Abwehrverhalten gegenüber „dem Fremden“ also, ein menschlicher Makel? Dieses Denkprozesses kann man sich bewusst werden, findet Schemer. „Das ist ein Sensibilisierungseffekt, den man allein dadurch erreicht, wenn man sich klar macht: Ja, es gibt Vorurteile, die unser Verhalten steuern“, sagt er.
„Das ist nicht gut und nicht schlecht. Das ist einfach so. Aber man kann es halbwegs steuern, fügt er hinzu, „indem man sich reflektiert verhält.“
(Das Portrait erschien im Rahmen meines Studiums an der Freien Journalistenschule Berlin)