"Gastfreundliches Zielland". Utopie und Realität
Im Zielland angekommen, wünschen sie sich eigentlich nicht viel:
Dass ihr Leiden ein Ende hat.
Ein Dach über dem Kopf.
Etwas zu essen.
Frieden für die Seele.
Und manchmal vielleicht auch: Verständnis und Mitgefühl von den sie Umgebenden für ihr erlebtes Leid.
Doch die Realität sieht leider anders aus. Die Asylpolitik in Deutschland – und in vielen europäischen Ländern auch – lässt sie sich von Anfang an als Kriminelle fühlen.
Sie dürfen die ersten Monate nicht arbeiten oder ohne Sondergenehmigung frei in Deutschland reisen. Und bis vor Kurzem mussten Abschiebehäftlinge auf ihre Ausreise in Gefängnissen warten. Zusammen mit wirklichen (!) Straftätern.
Aber schlimmer noch ist: Das Gefühl, nicht willkommen zu sein, hört bei den Behörden nicht auf. Er bleibt im Alltag bestehen.
Erst vor Kurzem wurden wieder Flüchtlingswohnheime in Brand gesetzt und die Wände mit fremdenfeindlichen Sprüchen beschmiert.
Auch als Bulgarien und Rumänien in die Europäische Union aufgenommen wurden und viele Sinti und Roma nach Deutschland kamen, beäugte man diesen Umstand äußerst kritisch. Man sprach von „Bettelbanden“, „Armutswanderung und „Wirtschaftsflüchtlingen“
Alte Ressentiments gegenüber „Zigeunern“- heute ist es ein Schimpfwort – flammten wieder auf.
Und nicht nur Flüchtlinge haben ein "Fremdheits"-Problem
Ablehnung und Ausgrenzung aufgrund des „Andersseins“ erfahren aber nicht nur Flüchtlinge.
Auch Menschen, die hier geboren sind, die einen deutschen Pass besitzen – die sich in ihrer Identität also in keiner Weise anders als „deutsch“ fühlen können, wie es der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba formulierte – machen im eigenen Land diskriminierende Erfahrungen, werden aufgrund ihres „ausländischen“ Aussehens und ihres „exotisch“ klingenden Namens zu „Fremden“ gemacht.
So erzählen Betroffene in Lesebriefen, in Blogs oder im Bekanntenkreis von abgesagten Besichtigungsterminen, sobald der arabische Nachname ausgesprochen wurde, von verwehrtem Zutritt in Nachtclubs, weil man „ausländisch“ ausschaue oder von Personalkontrollen durch die Polizei, weil man ja als dunkelhäutiger junger Mann „immer“ ins „Täterprofil“ passe.
„Integriert euch!“ heißt eigentlich: „Werdet deutsch!“
In Debatten um Integration wird immer gefordert: Integriert euch!
Und meint damit doch eigentlich, so Wolfgang Kaschuba, eine Assimilation, eine „kategorische Aufforderung, endlich wirklich ‚deutsch‘ zu sein.“
Diese Forderung ist allerdings paradox, führt der Kulturwissenschaftler in seinem Text über „Ethnische Parallelgesellschaften“ weiter aus. Die „deutsche Identität scheint etwas Besonderes“ zu sein, denn deutsch ‚wird‘ man nicht, deutsch ‚ist‘ man.“
Und zwar durch Abstammung, Sprache, Geist.
So manche Politiker, verrät Kaschuba, teilen diese Meinung auch heute noch.
Mythos „Deutsch-Sein“
Es scheint, dass Deutsche eine „fast neurotische“ Sehnsucht nach kultureller Einheitlichkeit haben und zugleich eine „tiefe Furcht“ vor Verschiedenheit.
Woher kommen diese Gefühle? Darüber kann man viel spekulieren und kontrovers diskutieren.
Vielleicht rührt es daher, weil Deutschland als „Nation“ im Laufe ihrer Geschichte vielfachen Brüchen ausgesetzt war und die Menschen auf der Suche nach ihrer ethnischen und kulturellen Identität eine „völkische“ Vorstellung von Deutsch-Sein entwickelt hatten?
Vielleicht aber auch ist diese Sehnsucht auf einer falschen, im alltäglichen Gebrauch allerdings weit verbreiteten Auffassung gewachsen, dass „Kultur“ etwas ist, das statisch, beständig und unveränderlich ist.
Wem nützt das „Wir gegen die Anderen“ – Denken?
Ein Zusammenschluss zu „Wir“-Gemeinschaften ist, so scheint es, ein urmenschliches Bedürfnis, denn es lässt sich fast überall auf der Welt beobachten.
Sie entstehen durch eine gemeinsame Verständigung darauf, was „uns“ verbindet und uns von den „anderen“ unterscheidet. Die Konstruktion des „Eigenen“ erfolgt also stets durch die Konstruktion des „Fremden“. „Wir“, das sind die „Nicht-Anderen“. Auf diese Weise entstehen übrigens alle Gruppen – ob nationale, ethnische, religiöse oder politische.
Ein Zusammenschluss zu einer „Wir“-Gemeinschaft hat klare Vorteile, keine Frage:
Auf diese Weise können bestimmte Ansprüche und Forderungen, z.B. auf ein Territorium, geltend gemacht werden. Problematisch wird es aber, wenn solche Zusammenschlüsse von politischen oder religiösen Akteuren dazu instrumentalisiert werden, um andere (aus politischen oder gesellschaftlichen Machkämpfen) abzulehnen und auszugrenzen. Was auch oft geschieht.
Wenn aus nationalem „Wir“-Gefühl Rassismus wird
In Deutschland entstand eine recht „völkische“ Vorstellung von Deutsch-Sein, erklärt Wolfgang Kaschuba, und als solche enthält sie viele rassistische Denkmuster.
Denn wenn „Deutsch“-sein als eine (angeblich!) ethnisch und kulturell homogene „Abstammungsgemeinschaft“ verstanden wird, dann ist der Zutritt von allen anderen, die eine „nicht-deutsche“ Abstammungsgeschichte haben, von vornherein ausgeschlossen. Auch Integration ist dann nicht möglich.
Wurden Menschen anderer kulturellen Herkunft früher aufgrund ihrer „biologischen Ungleichheit“ (sprich „Rasse“) diskriminiert, ist heute an diese Stelle die „Kultur“ getreten. Dann heißt es: „Die werden sich nicht ändern. Das ist halt deren Kultur“, wenn Nachrichten über Ehrenmorde, Zwangsheirat oder andere kriminelle Vergehen die Runde machen.
Insofern ist „Kulturalismus“ dann eigentlich nichts anderes als (versteckter) Rassismus.
Kultur: Einheit, die uneinheitlich ist
Was jene Menschen, die rassistisch/kulturalistisch argumentieren, oft vergessen – oder es schlichtweg ignorieren, ist:
KULTUR ist eben nicht statisch.
Zwar wird „Kultur“ als „tradiertes Wissen und Verhalten eines sozialen Kollektivs“ verstanden, wie es die Ethnologin Bettina Beer in ihrer Auseinandersetzung mit „Kultur und Ethnizität“ definiert, und besteht aus bestimmten Verhaltensmustern, aus traditionellen, sprich historisch überlieferten Ideen und damit verbundenen Werten, aber – und darin sind sich Kulturwissenschaftler einig
kulturelles Verhalten und Wissen ist erlernt!
Das bedeutet im Klartext: Auch eine KULTUR kann sich ändern.
- Menschen anderer Herkunft könnten die lokale Mehrheitskultur neu lernen.
- Menschen dieser Herkunft könnten aber auch die Kultur der anderen lernen.
Ein weiterer Konsens in den Kulturwissenschaften ist:
KULTUR ist nicht völlig homogen.
Es gibt Abweichungen von der kulturellen Norm auch innerhalb einer Kultur. Eine statische Vorstellung von Kultur ist viel zu einfach gedacht und entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität.
„Kultur“ neu denken und kritische Selbstreflexion
„Kultur“ ist, schlussfolgert Bettina Beer, eine
„Einheit, die uneinheitlich ist“
die zu einem bestimmten Zeitpunkt zwar empirisch erfasst werden kann, sich aber dennoch ständig verändert.
Wenn Kultur also als ein Prozess des Um- und Neugestaltens von eigenen und fremden Ideen, Erfahrungen und Werten verstanden wird, dann müsste man das „Fremde“ gar nicht fürchten, weil es ein Teil des „Eigenen“ ist.
Wir müssen umdenken und den Mythos von „Kultur“ als etwas Ganzem und Beständigem über Bord werfen. Denn dieser Mythos ist schlichtweg FALSCH.
Aber wie soll das erfolgen?
Zunächst mal ist es unumgänglich, sich selbst, seine eigenen Vorannahmen und Vorurteile gegenüber den oder dem „Anderen“ zu hinterfragen.
- Warum denke ich über diese ethnische Gruppe so?
- Woher habe ich mein Wissen über sie?
- Woher kommen meine Vorurteile?
Appell an Medienschaffende: Macht eure Arbeit ordentlich!
Oft sind es auch die Medien, die ein relativ einseitiges und dazu noch oft negativ konnotiertes Bild von den „Anderen“ zeigen.
Viele Kulturwissenschaftler, die sich mit der medialen Darstellung von „ethnischen“ Gruppen befassen, haben das bereits bemerkt, erforscht und kritisieren.
Viel zu oft werden Flüchtlinge und Migranten in Verbindung mit „problematischen“ Themen wie Arbeitslosigkeit oder Kriminalität gezeigt.
Erfolgsgeschichten hingegen bleiben eine Rarität.
Natürlich bleibt das nicht ohne Folgen. So kann es passieren, (und tut es auch), dass Betroffene sich schon allein aus Selbstschutz in „ihre Kultur“ zurückziehen. Im Hinblick auf die jüngeren muslimischen Generationen verwendete der Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba den Begriff „Selbstorientalisierung“.Aus dieser Perspektive scheint es kaum verwunderlich, wenn viele jungen deutschen Muslime sich den radikal-islamischen Kämpfern des Islamischen Staats anschließen.
Daher ist mein Appell an die Journalisten unter euch:
Macht eure Arbeit ordentlich!
- Seid euch stets dessen bewusst, welche Macht und welche Verantwortung ihr tragt mit dem was ihr schreibt und handelt dementsprechend.
- Seid auch ehrlich zu euch selbst, denn: Richtig objektiv zu berichten ist ein Mythos. Jede/r von euch ist die Summe eurer Erfahrungen. Jeder hat eigene Scheuklappen. Das gilt es stets zu beachten.
- Beginnt zuerst damit, euch selbst zu fragen, wie ihr zu den Menschen(-gruppen), über die ihr schreibt, steht, welche Gedanken und Positionen ihr habt und woher sie wohl kommen mögen. Denn Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung 😉
- Formuliert positiv! Die Menschen sollen nicht bei den Worten „Migranten“, „Flüchtlinge“ als erstes an Mord und Totschlag, Leid und Seeleichen denken. Denn gefühlt ist es immer noch so: bei zehn Artikeln darüber verbreiten neun negative Energien.
- Berichtet einfach differenzierter.
Und an den Rest von euch: Seid freundlich, lieb und redet miteinander!
Der beste Weg, die Angst vor dem „Fremden“ abzubauen ist, aufeinander zuzugehen und miteinander zu reden. Nur das Unbekannte macht Angst. Wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und einander zuhören, erkennen wir, dass auch „das Fremde“ nur ein Konstrukt ist, das sich auflöst und dahinter Menschen sind wie du und ich.
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