Ethnologie ist ein vielfältiges Fach, das alle Bereiche menschlichen (Zusammen-)Lebens erforscht. Dies tut sie in einer ihr spezifischen Art und Weise, ihren eigenen Methoden und mit ihrem speziellen ethnologischen Blick. Hier will ich euch zeigen, womit sich die Wirtschaftsethnologie beschäftigt.
Wirtschaft, was ist das überhaupt?
Unter Wirtschaft verstehen wir jene Aktivitäten, die Menschen ausführen, um ihr Leben und Überleben zu sichern. Dies erfolgt in der Regel durch Versorgung mit Gütern, aber auch mit (Dienst-)Leistungen.
Wirtschaftliches Handeln wird in dreierlei Bereiche unterteilt:
- Produktion (Herstellung)
- Distribution (Verteilung)
- Konsumtion (Verbrauch)
Was lernt man in klassischen Wirtschaftswissenschaften?
Die klassischen Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen sich mit betriebs- und volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Diese versucht man, mit Hilfe von theoretischen Modellen zu beschreiben.
In der Betriebswirtschaftslehre (BWL) geht es hauptsächlich um Planung, Organisation und rechnerische Darstellungen von Entscheidungen und Handlungen in Betrieben. Im Mittelpunkt steht also das erfolgreiche unternehmerische Handeln eines einzelnen Betriebs.
In der Volkswirtschaftslehre (VWL) steht die ökonomische Erklärung des menschlichen Handelns. Hier blickt man etwas weiter als bei BWL und befasst sich u.A. mit Faktoren wie Währungsentwicklungen, Konjunktur oder politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Was lernt man in der Wirtschaftsethnologie?
Die Anfänge der wirtschaftsethnologischen Forschung begannen mit Beschreibungen von außereuropäischen, traditionellen wirtschaftlichen Handlungen.
Theoretische Fragestellungen kamen nach und nach, man orientierte sich dabei zumeist an klassischen Wirtschaftswissenschaften. Letztere befassen sich in der Regel aber eher mit abstrakten Modellen marktwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten.
Und hier wird der Unterschied zur Wirtschaftsethnologie deutlich. Diese untersucht nämlich Wirtschaftsformen (und Wirtschaft im Allgemeinen) als Teil menschlicher Kultur und gesellschaftlicher Praxis.
Denn: Wirtschaftsweisen kann man nicht losgelöst vom großen Ganzen betrachten
Wirtschaft hängt immer und überall mit der politischen Ordnung, der sozialen Struktur und dem Wertesystem der jeweiligen Gesellschaft zusammen.
„So ist beispielsweise die Kontrolle von Güterproduktion und – verteilung häufig eine wesentliche Grundlage für politische Machtausübung. Auch ist die Organisation wirtschaftlicher Prozesse oft an verwandtschaftliche Einheiten (Familie, Clan, etc.) gebunden. Schließlich üben kulturelle Werte erheblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Prozess aus.
Rössler
Daher geht die Wirtschaftsethnologie grundsätzlich davon aus, dass Wirtschaft in einem sehr engen Zusammenhang mit einer Vielzahl kultureller und sozialer Faktoren steht.
Beispiele von wirtschaftsethnologischen Forschungsgebieten
Daraus ergeben sich zahlreiche interessante Fragestellungen und Forschungsgebiete. Lust auf eine Kostprobe? Here we go.
Geschlechterfragen
Manche Tätigkeiten sind nur den Frauen oder nur den Männern erlaubt. Die Zuweisung erfolgt aufgrund kulturspezifischer Überzeugungen.
Ressourcen, deren Aufteilung und Kontrolle
Die Art, wie vorhandene Ressourcen in welchem Maße genutzt werden, hängt ebenfalls stark von kulturspezifischen Einstellungen und lokalem Wissen ab.
Untersuchung unterschiedlicher Wirtschaftsweisen
Vor Allem zu Beginn der Wirtschaftsethnologie zählte die Erforschung von Jäger- und Sammlergesellschaften, Hirtentum sowie Bodenbau/Feldbau und Ackerbau zu den klassischen Forschungsgebieten.
Großes Thema Konsum oder: Was haben Bedürfnisse mit Kultur zu tun?
Der große Antriebsmotor menschlichen Handelns ist die Befriedigung verschiedener Bedürfnisse. Hierbei werden zwei Arten von Bedürfnissen unterschieden: physische und soziale.
Was aber sagt uns die Art, was Menschen konsumieren und wie über sie, ihre Denk- und Lebensweise aus? Solche und ähnliche Fragen stellen häufig einen Ausgangspunkt der wirtschaftsethnologischen Forschungen dar.
Beispiel Nahrung
- Warum essen Muslime und Juden kein Schweinefleisch?
- Warum essen wir keine Hunde oder Insekten?
- Wieso ist Kannibalismus unter Menschen „verpönt“?
Wie man sieht, existieren viele verschiedene Nahrungstabus. Hierfür spielen verschiedene Gründe eine Rolle. Manchmal sind religiöse Überzeugungen dafür verantwortlich. Manchmal der soziale Status der Person. Es gibt aber auch kollektive Abneigungen gegen bestimmte Nahrungsmittel (Insekten, Hunde, Schlangen), die nicht mit religiösen Überzeugungen zusammen hängen, sondern aus anderen Gründen entstanden, die heute nicht mehr nachvollziehbar sind.
Die vergleichenden Untersuchungen der Wirtschaftsethnologie haben gezeigt: Ob etwas als „essbar“ oder „nicht essbar“ in einer Gesellschaft angesehen wird, hängt nicht von natürlichen Faktoren ab, sondern in hohem Maße von kulturellen Zuschreibungen.
Fragestellungen der Wirtschaftsethnologie in Zeiten der Globalisierung
Heute sucht die Wirtschaftsethnologie nach Antworten auf aktuelle Fragen, die sich im Zuge einer globalisierten Wirtschaft stellen.
Hier ein paar Beispiele:
- Soziale, politische und rechtliche Institutionen können wirtschaftliche Aktivitäten motivieren oder einschränken. Wie wirkt sich individuelles Entscheidungsverhalten vor einem solchen Hintergrund aus? (Aktuelles Beispiel: Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund des Corona-Virus)
- Wie hängen veränderte Nachfrage- und Konsummuster mit der Konstruktion von kulturellen Identitäten zusammen?
- Ein Großteil der Herstellung der Waren unseres alltäglichen Konsums wurde in Länder des Globalen Südens outgesourct. Kapitalistische Marktwirtschaft breitet sich also aus. Wie wirken sich die vielfältigen Folgen von veränderten Produktionsstrukturen vor Ort aus? Darunter fällt natürlich auch die verstärkte Arbeitsmigration sowie neue Abhängigkeiten aber auch Verarmung der Menschen vor Ort.
Fazit: Verstehen von innen heraus
Die Fragestellungen verdeutlichen, worin die Stärke der Ethnologie liegt: Nämlich auf ihrem Fokus auf der Mikroebene und auf der Innensicht der betroffenen Menschen. Diese werden jedoch in Beziehung zur Makroebene nationalstaatlicher Ökonomien gesetzt. Dies ermöglicht ein möglichst umfassendes, ganzheitliches Verstehen der Spezies Mensch.